WikiKath - Das Handbuch

B.1.3 Durchführung einer Sitzung

Lästerzungen behaupten, dass in Kirchenkreisen der meist beanspruchte Körperteil das “Sitzfleisch” ist. Um zu überleben brauche man ein zähes Sitzleder.

Wiewohl überspitzt ist manch Wahres auch an solcher Aussage. Nicht unbedingt bezogen auf die Anzahl der Besprechungen, da gibt es durchaus Pfarreien und Kirchgemeinden mit Nachholbedarf, aber hinsichtlich der Länge der Sitzungen. Dabei ist es keineswegs so, dass sich dieser Einsatz stets lohnt. Die Ergebnisse einer Sitzung werden nicht automatisch besser, wenn sie länger dauert. Aber beide Faktoren, die Länge und die Qualität der Sitzungsergebnisse, werden massgeblich von der Sitzungsleitung beeinflusst.

Sitzungen leiten ist (k)eine Kunst. Man kann es lernen. Wer eine neue Aufgabe übernimmt und dort auch Sitzungen leitet, dem wird empfohlen, entsprechende Kurse beim Fachbereich “Kompetenz für Freiwillige” der Fachstelle Bildung Mobil zu besuchen.

Für Geübte, und zur gelegentlichen Überprüfung des eigenen Leitungsverhaltens, sind folgende sieben Merksätze gedacht. Dabei wird vorausgesetzt, dass eine ins Auge gefasste Sitzung tatsächlich notwendig ist. Denn es gilt der Grundsatz: “Du sollst keine Sitzung abhalten, wenn es auch ohne geht.” Sollten für ein Treffen gemäss Sitzungskalender wenig oder nur unbedeutende Traktanden vorliegen, ist es besser über Zirkularbeschluss, Mail-Umfrage oder nach telefonischer Rücksprache zu entscheiden, als eine bedeutungslose Sitzung durchzuführen.

1. Gute Vorbereitung spart Zeit #

Eine der wichtigsten Möglichkeiten, eine Sitzung zu beeinflussen, ist die Vorbereitung. Mit ihr werden die entscheidenden Weichen gestellt; zum Beispiel darüber, mit welcher Einstellung die Teilnehmenden zur Sitzung kommen, oder wie sie sich am Geschehen beteiligen. In der Regel wird die Vorbereitung über die Traktandenliste offenkundig.

Traktandenliste #

Rechtzeitig vor Erstellen der Traktandenliste werden die Teilnehmenden aufgefordert, ihre Themen zu benennen. Auf der Traktandenliste sollten nicht nur Titel stehen, sondern auch worum es beim Besprechungsgegenstand geht.

Nicht so:

7. Pensum des Sigristen

Sondern so:

7. Erhöhung des Arbeitspensums des Sigristen von 50% auf 70%?

Gemeindeleiterin Huber stellt Antrag. Vergleiche auch Begründung aus Förderungsgespräch vom TTMMJJ.

Zeitraster: Stets gilt es abzuschätzen, wie viel Zeit für die einzelnen Traktanden etwa vorzusehen ist. Der Zeitraster kann den Teilnehmenden bekannt sein, oder ausschliesslich für die Sitzungsleitung gebraucht werden.

Unterlagen zu möglichst jedem Traktandum werden rechtzeitig allen zur Verfügung gestellt (Pläne, Stellungnahmen, Berechnungen, Vorgaben aus bisherigen Entscheidungen, behördliche Erlasse u.a.).

Umfangreiche und komplexe Sachverhalte werden am besten in Ausschüssen vorbesprochen. Diese berichten und stellen die notwendigen Anträge.

Eine gute Sitzungsleitung weiss: “Zeit ist Geld.” Ihren Respekt vor den Sitzungsteilnehmenden drücken Sie auch damit aus, dass Sie ihnen keine Zeit stehlen.

2. Klar in der Form – zurückhaltend in der Sache #

Die wichtigste Aufgabe der Sitzungsleitung ist es, dafür zu sorgen, dass die Beratungen zu Entscheidungen führen. Dabei bestimmen die Sitzungsleitenden, – und nur sie –, das “Wie” der Entscheidungsfindung, und die Sitzungsteilnehmenden das “Was”. Anders gesagt: Sitzungsleitende sind für die Form zuständig, die Teilnehmenden für den Inhalt.

Jede Sitzung wird chaotisch, wenn die Teilnehmenden sowohl über das richtige Ergebnis diskutieren, als auch über den Weg streiten, wie man zum Ergebnis kommt.

Ist jemand mit der Sitzungsleitung, beziehungsweise dem Entscheidungsverfahren nicht einverstanden, kann er einen Ordnungsantrag stellen, über den nach kurzer Begründung und allfälliger Gegenrede sofort befunden wird.

Eine gute Sitzungsleitung bestimmt nicht, welches die beste Lösung ist, sondern den Weg, der zur besten Lösung führt.

3. Sitzungen brauchen Rhythmen #

Aus der Lern- und Arbeitspsychologie ist bekannt, dass gute Zeiteinteilung und gesunde Rhythmen die Qualität der Ergebnisse und die Zufriedenheit bei der Tätigkeit deutlich steigern. Dazu einige Stichworte:

  • pünktlich beginnen, pünktlich aufhören (uralte Schulerfahrung!),
  • regelmässige Pausen,
    zum Beispiel Sitzungen im ¾ Takt: = ¾ Stunden Arbeit, ¼ Stunden Pause,
  • am Anfang der Sitzung soll ein eher unbelastetes Thema besprochen werden. “Schwere Brocken” erst nach dem “Warmlaufen”, und dann wieder abwechseln mit etwas
    “Leichterem”,
  • bei “Verschiedenes” am Ende der Sitzung sind lange Diskussionen oder gar Entscheide zu vermeiden. Nötigenfalls muss der Gesprächsgegenstand auf die Traktandenliste für die nächste Sitzung genommen werden.

Eine gute Sitzungsleitung nutzt die Erfahrung, dass Menschen am Produktivsten wirken, wenn Arbeit und Erholung im Gleichgewicht sind.

4. Die richtigen Werkzeuge benutzen #

Eine gute Sitzungsleitung benutzt ähnlich wie gute Handwerker oder Künstlerinnen das jeweils passende Instrument.

Wer sorgfältig arbeitet, benutzt das richtige Werkzeug, und hält es entsprechend in Schuss. Werkzeuge für die Sitzungsleitung sind:

  • Klare Informationen
    • zur Ausgangslage
    • zur Problemstellung und zu den Rahmenbedingungen
    • zum erhofften Ziel
  • Strukturieren = Weg, wie das Ziel erreicht werden kann
    • Ermuntern zu unkompliziertem Denken
    • Sammeln und Bündeln der Meinungen
    • Zuordnen der Diskussionsbeiträge zum Beispiel durch Visualisieren am Flipchart
    • Festhalten der Teilergebnisse
    • Beschliessen und nochmaliges Zusammenfassen der Beschlüsse
    • Erteilen von Aufträgen
  • Vorgehen bei komplizierten Themen
    • Umschreiben des Problems (eventuell aufteilen in Teilprobleme)
    • Zuständigkeiten definieren und wahren
    • Diagnose: Ursachen, Hintergründe des Problems erforschen
    • erste Lösungsvorschläge sammeln (mehrere und “ohne Schere im Kopf“!)
    • Lösungsvorschläge bewerten
    • aus den Lösungsvorschlägen einen auswählen und beschliessen
    • Aktionsplan: Umsetzungsschritte vereinbaren

5. Atmosphäre ist (mit-) entscheidend #

Eine Erkenntnis der Arbeits- und Sozialpsychologie vorweg: Das Umfeld beeinflusst die Qualität von Problemlösungen. Oder anders ausgedrückt: Menschen, die sich wohl fühlen, sind länger leistungsfähig und erzielen bessere Ergebnisse. Zu einer guten Atmosphäre bei Sitzungen tragen “äussere” und “innere” Faktoren bei.

Äussere Faktoren #

Äussere Faktoren beeinflussen den Sitzungsverlauf nicht selten, ohne dass man sich dessen bewusst wird. Sie wirken auf das vegetative Nervensystem. Die auffälligsten Faktoren sind:

  • Wärme: Sowohl ein überhitzter als auch ein unterkühlter Sitzungsraum beeinträchtigen das Sitzungsklima.
  • Luft: Besonders wenn die Köpfe rauchen, ist regelmässige Zufuhr von Sauerstoff
  • Lärm: Ob von der Strasse, von der Lüftung oder vom Handy kommend, Lärm erzeugt Stress. Die wenigsten Menschen können bei Lärm konzentriert arbeiten.
  • Licht: Nicht erst seit den Erkenntnissen über Novemberdepressionen und Lichttherapie ist bekannt, dass ausreichendes und richtiges Licht sehr viel zur Ausgeglichenheit beiträgt. Hilfreich ist helle, weiche, indirekte Beleuchtung.
  • Raumgestaltung und Möblierung: Die Grösse des Raumes (weder verloren in einem Saal noch eingepfercht in einem Büro) und die Funktionalität der Einrichtung (weder spartanische Holzbänke noch Fauteuils, in die man versinkt) beeinflussen die Gesprächsatmosphäre und die Entscheidungsfreude.
    Wichtig ist, dass alle direkt miteinander kommunizieren können, und dass für alle Teilnehmenden sowie für die Sitzungsunterlagen genügend Platz vorhanden ist. Erfahrungsgemäss gut gelingen Sitzungen am runden oder ovalen Tisch, beziehungsweise bei eckigen Tischen, wenn diese möglichst quadratisch aufgestellt werden.

Einige Tipps für Sitzungsprofis (die auffälligerweise von Sitzungsleiterinnen oft ganz selbstverständlich praktiziert werden):

  • alkoholfreie Getränke auf den Tisch
  • etwas Schmückendes in die Mitte, oder gut sichtbar auf der Seite
  • eine kleine Überraschung an jedem Platz
  • regelmässiges Lüften
  • Rauchpausen ausserhalb des Sitzungszimmers
  • Anspannungslöser einsetzen: humorige Bemerkungen, Ermunterung, Lob und Anerkennung

Innere Faktoren #

Sitzungen werden auch beeinflusst durch Stimmungen, welche die Teilnehmenden mitbringen, oder durch Beziehungen, die zwischen den Teilnehmenden entstehen. Auf sie im Einzelnen einzugehen, sprengt den Rahmen dieses Beitrags.

Mögliche Massnahmen zur Optimierung der inneren Faktoren seien hier in Kurzfassung genannt:

  • Befindlichkeitsrunde: Man erzählt sich kurz, was einen gerade beschäftigt. Dies kann zu Beginn, während oder am Ende der Sitzung geschehen.
  • Feedback: Man meldet kurz zurück, wie etwas angekommen ist.
  • Zwischenauswertung: Man spricht darüber, wo die Gruppe steht, und wie gross/klein die Zufriedenheit mit dem bisher Erreichten ist.
  • Vier-Augengespräch: Man nimmt sich ausserhalb der Sitzung gezielt Zeit, etwas zu klären.
  • Klausur: Man bespricht Grundsätzliches hinsichtlich des Auftrages, der Arbeitsweise und des wechselseitigen Umgangs miteinander.

Eine gute Sitzungsleitung weiss, dass Menschen, die sich wohl fühlen, engagierter bei der Sache und kreativer beim Problemlösen sind. Sie sorgt für optimale Rahmenbedingungen hinsichtlich des äusseren und inneren Wohlbefindens.

6. Lauter Originale – oder wie mit Charakterköpfen umgehen #

Es ist fast unvermeidlich, dass in Gremien auch Leute miteinander auskommen müssen, die zusammen keiner Bergwandergruppe beitreten würden. In Sitzungen kommen sie zusammen, und für die Sitzungsleitung gilt es Mittel und Wege zu finden, mit diesen Originalen klar zu kommen. Da Originalität nicht einzugrenzen ist, wird hier darauf verzichtet einzelne Typen zu benennen.

Für alle gilt: Am besten kommt mit Originalen zurecht, wer mit ihren Stärken, und nicht gegen ihre Schwächen arbeitet.

Dazu gehört:

  • Teilaufgaben übertragen: Originale zum Beispiel ein Traktandum vorbereiten und vorstellen lassen. Oder sie auffordern, eine klar umschriebene Abklärung vorzunehmen und darüber zu berichten. Oder sie zu bitten, während einer Sitzung alle Pro- und Kontra-Argumente auf dem Flipchart festzuhalten.
  • Gezielt alle um Meinungsäusserung oder Stellungnahme bitten.
  • Motiv für die abweichende Meinung zu ergründen suchen, und den wertvollen Aspekt der Minderheitenüberzeugung würdigen: “Was steckt für Wahrheit hinter der ‘einsamen Meinung’?”
  • Einzelne Schritte zur Entscheidungsfindung transparent machen und konsequent einhalten.

Eine gute Sitzungsleitung nutzt die Stärken der Mitglieder und verzichtet darauf, sie erziehen zu wollen.

7. Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser #

Dass zu Sitzungen Protokolle gehören, ist selbstverständlich geworden. Protokolle sind unentbehrliche Hilfsmittel zum späteren Nachvollzug von Entscheidungen, zur Überprüfung der Umsetzung von Beschlüssen, und zur Wahrung der Kontinuität in Gremien. Deshalb gehört zu jedem Beschluss die Feststellung wer, was, bis wann, zu erledigen hat.

Nicht selten aber führen Protokolle dazu, dass man sich erst kurz vor der nächsten Sitzung wieder damit befasst (und feststellt, was man in der Zwischenzeit hätte tun sollen). Oder aber man möchte selbst eine beschlossene Angelegenheit umsetzen, und bemerkt, dass der Kollege, die Kollegin, den zugeteilten Teil verschlafen hat.

Zur Sitzungsleitung gehört deshalb die Überprüfung, ob die vereinbarten Aufgaben auch ausgeführt werden. Geschicktes Vorgehen verhindert dabei, dass “Oberlehrer- und unterschülerhafte Gefühle” entstehen, wie sie von den nicht gemachten Schulhausaufgaben her bekannt sind.

Gute Sitzungsleitende kontrollieren nicht aus Machtlust, sondern weil es zu ihrem Auftrag gehört. Sie achten darauf, dass Beschlossenes auch realisiert wird. Das schafft Zufriedenheit bei den Mitwirkenden und ist eine wichtige Form, Anerkennung für Sitzungsleistungen auszudrücken.